Rund um die Jahrtausendwende gab es eine wissenschaftliche Sensation. Forscherteams gelang es erstmals, das menschliche Genom vollständig zu entschlüsseln. Das Projekt dauerte Jahre und verschlang Millionen. Heute gelingt eine vergleichbare Analyse in kurzer Zeit. Die Methode, die dies ermöglicht, nennt sich Next Generation Sequencing (NGS). Sie hat die Genforschung revolutioniert und eröffnet gänzlich neue Möglichkeiten in Medizin, Biologie und vielen anderen Bereichen.
Was steckt hinter NGS?
Es handelt sich um ein Verfahren, das die Buchstaben der DNA in atemberaubender Geschwindigkeit ausliest. Unsere Erbinformationen bestehen aus Milliarden Bausteinen, den sogenannten Basen. Früher musste man diese Schritt für Schritt sequenzieren. Dies ist ein mühsamer und zeitintensiver Arbeitsablauf. NGS arbeitet im Parallellauf. Das heißt, Millionen winziger DNA-Fragmente werden gleichzeitig untersucht. Am Ende setzt eine Software-Anwendung alle Puzzlestücke zu einem Gesamtbild zusammen.
Wie läuft das ab?
Bevor die Sequenziermaschinen ihre Arbeit aufnehmen können, wird die DNA einer Probe zunächst in kleine Stücke zerlegt. Jede einzelne Zelle enthält alle Informationen. Ein Haar, Hautschuppen oder Speichel sind für die Untersuchung ausreichend. Das vorbereitete Probenmaterial wird mit speziellen Markierungen versehen, die das Auslesen ermöglichen. Der Rest ist Hightech. Laser, Sensoren und winzige Poren messen die Reihenfolge der Basen. Das Ergebnis sind gigantische Datenmengen, die nur mit spezieller Software bewältigt werden können.
Statt eines einzigen Strangs entsteht aus allen Einzelinformationen ein umfassendes Bild der gesamten genetischen Informationen. Die DNA-Analyse ist präzise, schnell und zuverlässig. Die Identifikation von Opfern nach einem Unglück oder die Durchführung einer Reihenuntersuchung kann mit diesem Verfahren beschleunigt werden.
Medizinische Anwendungen
In der Medizin hat NGS zu einem regelrechten Quantensprung geführt. Die Krebsdiagnostik profitiert von dem Verfahren. Bei der Untersuchung von Tumoren ist es möglich, genau zu benennen, welche genetischen Veränderungen vorliegen. Mit diesem Wissen können Therapien individuell auf die Erkrankung zugeschnitten werden. Das Stichwort „personalisierte Medizin“ gewinnt zunehmend an Bedeutung.
So liefert die NGS auch bei seltenen Erbkrankheiten Antworten, wo herkömmliche Tests versagen. Überdies spielt die Methode in der Infektionsmedizin eine immer größere Rolle. Forschenden ist es dank NGS gelungen, die Genome von Viren wie SARS-CoV-2 in Rekordzeit zu entschlüsseln. Sie lieferten damit eine wichtige Grundlage für Impfstoffe und neue Therapien.
NGS in der Forschung
Nicht nur die Medizin gewinnt Erkenntnisse über die NGS. In der Biologie wird das Verfahren angewendet, um Artenvielfalt zu erfassen, Resistenzgene von Bakterien aufzuspüren oder die Evolution ganzer Tiergruppen zu verstehen. Selbst in der Landwirtschaft ist die Methode angekommen. Bei der Züchtung setzt sie ein, um Pflanzen widerstandsfähiger zu machen oder bessere Erträge zu erzielen. Die Technik stellt die Forschung allerdings auch vor Herausforderungen. Zunächst müssen riesige Datenmengen gespeichert, ausgewertet und interpretiert werden. Außerdem ist nicht jede genetische Abweichung automatisch krankheitsrelevant. Man muss hier sehr genau zwischen Zufall und medizinischer Bedeutung unterscheiden.