BCTumSS/shutterstock.com
Human Resources

HR goes KI: Oder wie viel künstliche Intelligenz steckt tatsächlich in der Personalarbeit?

Ist das nun schon KI oder doch nur ein Algorithmus? Wie es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Personalsoftware aktuell steht und wo die Reise hingeht, erläutert HR-Software-Experte Dr. Christian Ellrich im Interview.

Herr Dr. Ellrich, an vielen Stellen wird die Revolution ausgerufen: Inwiefern stellt Künstliche Intelligenz HR tatsächlich auf den Kopf?

Irgendwann wird sie es sicher tun. Doch aktuell muss noch unterschieden werden zwischen dem Einsatz von HR-Software in kleinen wie mittelständischen Unternehmen und dem in großen Konzernen. Denn die meisten Betriebe mit zwischen 20 bis 2.000 Mitarbeitenden haben noch Digitalisierungs-Hausaufgaben zu erledigen, bevor sie überhaupt in der Lage sind, KI in ihre Prozesse zu integrieren. Bots für Standardfragen, Ticket-Systeme, e-Personalakten – Lösungen wie diese müssen erst noch ihren Weg in den deutschen Mittelstand finden. Bis dahin lässt die Revolution noch auf sich warten.

Wie sieht es auf Anbieterseite aus: In welchem Ausmaß ist das Hypethema Künstliche Intelligenz überhaupt im HR-Software-Markt angekommen?

Um diese Frage zu beantworten, muss genau differenziert werden, was eigentlich als KI definiert wird. Handelt es sich bei einer Anwendung tatsächlich um echte künstliche Intelligenz, die auf Millionen von Datensätzen basiert und eigenständisch dazulernt, oder ist hier doch „nur“ ein komplexer Algorithmus im Einsatz? Das Buzzword KI funktioniert einfach sehr gut im Verkauf und wird daher entsprechend großzügig eingesetzt, insbesondere bei mittelständischen Softwareanbietern.

Wer genau nachfragt, erkennt meist schnell, wie wenig der Status Quo des Software-Angebots mit KI zusammenhängt. Anders sieht es natürlich bei den großen Namen aus, hier ist die Entwicklung bereits viel fortgeschrittener und sehr viel näher dran an KI. Was zudem aktuell bereits sehr gut möglich ist, ist die Integration bestehender KI-Systeme wie OpenAI oder ChatGPT in HR-Software – eine weitere Option, wie KI den Zugang in diesen Markt findet.

Noch viel zu tun für den deutschen Mittelstand. Und trotzdem – ist KI die Gangart der Zukunft in der HR-Software?

Die Zeit für KI in der HR-Software wird definitiv kommen. Gerade in den Bereichen Recruiting, Personalentwicklung und Performancemanagement wird künstliche Intelligenz großen Nutzen stiften, etwa bei Erstellen von Schreiben oder Zeugnissen.

Mögliche Anwendungsfälle für Künstliche Intelligenz in der HR-Software gibt es bereits zahlreiche: Welche technologischen Entwicklungen aus diesem Bereich finden Sie besonders spannend?

Fasziniert bin ich persönlich von der Möglichkeit, künstliche Intelligenzen im Personalwesen unternehmenseigene HR-Daten zur Verfügung zu stellen – und diese daraus lernen zu lassen. Auf diese Weise lässt sich etwa massiv die Zeitspanne verkürzen, die es braucht, um Anfragen zu beantworten. Auch Wissensdatenbanken können mit dieser Methode rasch aufgebaut werden.

Echten Freiraum erwirken zudem meiner Meinung nach Chatbots – sie reduzieren den Workload enorm, besonders wenn es sich dabei um selbstlernende Anwendungen handelt, die ihre Antworten durch den Abgleich mit den Datensätzen beständig optimieren. Denn bei einer Personalabteilung fallen 60 bis 70 Prozent Standardanfragen an – wird sie durch KI an dieser Stelle entlastet, wirkt dies auch dem Fachkräftemangel entgegen.

Im Bereich Personalentwicklung werden KI-Anwendungen zudem künftig dabei unterstützen, Skills von Mitarbeitenden abzugleichen und Tests durchzuführen. Darüber hinaus sehe ich großes Potenzial im Controlling und in der Datenanalyse: Für uns Menschen dauern die Prozesse einfach noch viel zu lange. Es braucht zum Teil Tage oder Wochen, bis eine Person damit fertig ist, alle Daten auszuwerten und ihre Beziehungen zueinander zu interpretieren –je nach dem wie groß das Unternehmen ist und wie viele Daten im Spiel sind – bei tendenziell steigender Datenmenge. KI wird Unternehmen befähigen, sehr viel schneller Rückmeldung auf Grundlage ihrer Daten zu erhalten.

Ihre Einschätzung: Die drei größten Trends im Bereich KI-gestützte HR-Software?

Neben Chatbots und Datenanalyse sehe ich besonders Matching als Trendthema. Dabei geht es darum, KI-gestützt zu prüfen, ob eine Stelle zu einer Person passt. Diese Diagnostik, das Abgleichen von Skills und Anforderungen, ist ein immer wichtigeres Thema auch in Hinblick auf den Fachkräftemangel.

Recruiting ist ein weiterer HR-Bereich, in welchem künstliche Intelligenz bereits unterstützt. Gibt es Ihrer Meinung nach auch Schattenseiten des KI-Recruitings?

Die einen sagen, eine KI mache keine Unterschiede. Trotzdem kann sie aber gerade deshalb diskriminierend sein. Deshalb gilt: Wenn selbstlernende Maschinen statt Menschen die Entscheidungen treffen, müssen sie auch entsprechend ethisch dazu befähigt werden. Gleichbehandlung und Transparenz müssen der KI sozusagen als Grundlage beigebracht werden. Ein besonderes Augenmerkt sollte zudem auf die Datenlage im Hintergrund gelegt werden: Ist diese nicht sauber – Stichwort Dirty Data –, führt das zu Mechanismen, die durch einen Bias verzerrt sind. Aktuell habe ich noch meine Zweifel, ob die Technik hier schon so weit ist. Ist die Recruiting-KI schon in der Lage, deutsche Gesetzgebung zu berücksichtigten, ist der erster Schritt gemacht. Ausdifferenziertere moralische Entscheidungen sind dann das nächste Level.

Recruiting ist das eine – wie sieht es auf Bewerberseite aus: Inwiefern kommt auch hier schon KI zum Einsatz, und welche Herausforderungen entstehen, wenn KI-Content auf KI-Check trifft?

Sicher schöpfen auch Bewerbende die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz aus und lassen beispielsweise ihr Anschreiben von ChatGPT und Co. erstellen. Aus meiner Sicht ist das unproblematisch, solange die generierten Inhalte wie Anschreiben oder Lebenslauf auf der Wahrheit basieren. Und natürlich lassen sich Bewerbungsunterlagen somit viel leichter auf ein gutes Ranking hin optimieren, doch das ist durchaus legitim – genau auf diese Weise funktioniert es schließlich im Onlinemarketing auch, wenn Websites für ein besseres Google-Suchergebnis angepasst werden. Ob dies nun manuell geschieht oder durch künstliche Intelligenz, ist kein wirklicher Unterschied und wird in Zukunft sicher so ablaufen.

Noch scheint vieles Zukunftsmusik. Besteht Ihrer Meinung nach derzeit schon Handlungsbedarf für Unternehmen, sich in Hinblick auf ihr Personalwesen mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinanderzusetzen?

Große Unternehmen haben damit sicher schon längst begonnen. Für kleine und mittelständische Betriebe gilt: Den ersten vor dem fünften Schritt machen. Durchdigitalisieren ist das Credo. Hier erwarten die Unternehmen aktuell auch noch die viel größeren Nutzeneffekte, als wenn sie irgendein KI-Tool in ihre Prozesse integrieren. Wenn die Systemanbieter dann KI-gestützte Module für bestimmte Bereich in der HR anbieten, muss konkret das Angebot und der Nutzen daraus geprüft werden.

Irgendwann wird somit der Mittelstand im Personalwesen auch in der Lage sein, Dinge mittels KI zu tun – etwa Wissen standardisieren und Know-how bündeln –, die bisher nur großen Unternehmen vorbehalten waren. Aber solange noch so viele Digitalisierungs-Baustellen offen sind, hilft es nichts, vier Schritte zu überspringen, und tief in das Thema KI einzutauchen.

Die Digitalisierung verläuft zum Teil zäh. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Einführung KI-gestützter Software in HR-Abteilungen?

Dass die Digitalisierung in den mittelständischen Personalabteilungen noch wenig vorangeschritten ist, liegt nicht am fehlenden Angebot auf Softwareseite. Menschen, die in HR-Abteilungen arbeiten und keine großen Fans digitaler Prozesse sind, werden auch von KI-gestützten Tools wenig begeistert sein. Dahinter steckt sicher Angst um den eigenen Arbeitsplatz, aber auch die Scheu vor Veränderung. Häufig begegnen wir einer eher verwaltenden Denkweise, in der Sätze fallen wie „Kopieren geht schneller als einscannen.“

Natürlich steckt auch ein Stückchen Wahrheit dahinter, denn manchmal erhöhen digitalisierte Prozesse im ersten Moment die Komplexität, die sich erst bei einer vollständigen Durchdigitalisierung wieder in Wohlgefallen auflöst. Mein Rat an dieser Stelle ist daher: zum einen digitale Kompetenzen bei Mitarbeitenden aufbauen, die dafür bereit sind. Aber zum anderen auch: Durchziehen. Das Thema ist ähnlich zu betrachten wie die Einführung von Bankautomaten – die ablehnende Grundhaltung wird sich mit der Zeit von allein auflösen. Dabei sollte natürlich darauf geachtet werden, die Mitarbeitenden mit all ihren Sorgen und Ängsten abzuholen und mitzunehmen. Digitalisierung ist angesichts des Fachkräftemangels bereits ein Muss, KI wird sich perspektivisch ähnlich entwickeln.

Apropos Angst um den Job: Inwiefern Sehen Sie KI und menschliche Personaler in Konkurrenz zueinander – und werden künstliche Intelligenzen den Menschen im Bereich HR irgendwann einmal vollständig ersetzen?

Menschliche Personaler und KI konkurrieren nicht miteinander: Weil es immer weniger Fachkräfte gibt, braucht HR künstliche Intelligenz. Gerade in den administrativen Bereichen des Personalwesens mangelt es an Personal, Positionen wie die des Entgeltabrechnenden bleiben vakant. Diese Lücke können nur Digitalisierung und Automatisierung füllen. Der sehr menschliche, fast reflexartig auftauchende Gedanke „Die Maschine will mir meinen Arbeitsplatz wegnehmen“ ist im Grunde haltlos. Wer derzeit – entsprechend qualifiziert – auf Jobsuche ist, kann vergleichsweise schnell wieder eine Anstellung finden. KI wie Digitalisierung stützen unsere Wirtschaft an den Punkten, wo Personalmangel zum Problem werden zu droht.

Dann ist es wohl besser, gemeinsame Sache zu machen. Wohin geht die Reise der KI in HR-Software in den kommenden Jahren?

Meine Prognose: In zehn Jahren sprechen wir gar nicht mehr groß über das Thema KI im Personalwesen, da es bereits ein integraler Bestandteil der HR-Arbeit und jeder Software sein wird. Aktuell befinden wir uns in einer Übergangsphase, in der viele ethische Fragen geklärt werden müssen. Insgesamt ist KI ja auch nicht als HR-spezifisches Thema zu betrachten: Vielmehr wird es unsere Arbeits- und Lebenswelt in seiner Gänze durchdringen – und sicher wird uns das auch unzählige Vorteile bringen. Viele malen hier gerne schwarz und blicken dystopisch in die Zukunft – doch das ist nur eine von vielen Hypothesen. Persönlich ziehe ich es vor, positiv zu bleiben: KI wird Personalarbeit an vielen Stellen erleichtern und die dringend benötigten Fachkräfte ersetzen.

Ähnliche Beiträge

Die Vorteile moderner Webinar-Software für digitale Bildung

Hitze im Büro: Was man dagegen macht und was das Arbeitsrecht vorsieht

Zeiterfassung: Pflichten und Anwendung

Heinrich Gellertshausen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner