Ein unbestimmter Rechtsbegriff des deutschen Rechts ist die Billigkeit. Die Bedeutung ist sowohl als eine „angemessene Anwendung“ der Bestimmungen aufzufassen oder als eine gerechte Beurteilung oder Anweisung. In der Umgangssprache hat das Wort mittlerweile eine andere Bedeutung, nämlich „preiswert“, „günstig“, aber auch „minderwertig“ im Sinne von „ohne ausreichende „Qualität“. Häufig findet sich in Gerichtsurteilen als Begründung auch die Unbilligkeit eines Verhaltens oder einer Forderung. Dann ist gemeint, die Auffassung oder Begründung sei „nicht angemessen“ oder das Urteil „ungerecht“.
Unbilligkeit: Die unbillige Härte
Im öffentlichen Recht spricht man von einer unbilligen Härte, wenn nur ein geringes Verschulden vorliegt, die Folgen für den Betroffenen aber erheblich sind. In jüngster Vergangenheit waren derartige Umstände häufig Anlass für rechtliche Auseinandersetzungen, wenn ein Existenzgründer-Zuschuss („Ich-AG“) verspätet beantragt und deshalb abgelehnt wurde. Sind aus Steuern oder Abgaben Schulden entstanden, kann bei dem Betreiben der Forderung eine unbillige Härte entstehen. Stets sind die Interessen der Finanzbehörden (der Allgemeinheit der Staatsbürger) gegen die Interessen des jeweiligen Schuldners abzuwägen.
Droht dem Steuerpflichtigen ein erheblicher Nachteil, der durch Abwarten und vorübergehendes Aussetzen der Schuld abgewendet werden kann, ist dies zu berücksichtigen. Besteht die Behörde auf der sofortigen Zahlung, kann ein Richter ihr Verhalten als unangemessen, eben als unbillig ansehen.
Der Erlass einer Steuerschuld
Sogar das Einstellen der Forderung, also der Erlass der Steuerschuld, ist nach Paragraph 227, Abs. 1 der AO möglich, wenn eine Einziehung unbillig wäre. Sogar bereits erstattete Beträge können erstattet werden. Die Unbilligkeit kann in der Sache oder in der Person des Steuerzahlers begründet sein. In der Sache kann in einem Verfahren nicht grundsätzlich über die Steuerforderung entschieden werden. Allerdings kann der Sachbearbeiter auf Zinsen verzichten, wenn ihre Erhebung den Tatbestand der Unbilligkeit erfüllt.
Die persönlichen Gründe
Lassen es die wirtschaftlichen oder persönlichen Verhältnisse nicht zu, wäre sogar die Existenz des Betroffenen gefährdet, wäre ein Beitreiben der Steuerschulden unbillig. Allerdings muss dann die Forderung des Finanzamts ursächlich für die Existenzgefährdung sein. Ist die Behörde nur einer von mehreren Gläubigern, die eine wirtschaftliche Notlage verursachen, kann nicht aus Billigkeit von der Schuld abgesehen werden. Verzichten allerdings auch die übrigen Gläubiger, kann ausnahmsweise ein Erlass erfolgen, wenn so die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gerettet werden kann.
Die sachlichen Gründe
Aus dem steuerlichen Tatbestand selbst ergeben sich mitunter Gründe für einen Erlass. Dies ist dann der Fall, wenn das Erheben der Steuer sachlich unbillig wird. So kann es vorkommen, dass der Anspruch nach dem Wortlaut der Vorschriften rechtmäßig ist, aber dem Zweck des zugrunde gelegten Gesetzes nicht (länger) entspricht. Der Antrag des Steuerpflichtigen auf Erlass oder Erstattung wegen einer sachlichen Unbilligkeit kann nicht mit einer fehlerhaften Steuerfestsetzung begründet werden.
Unbilligkeit am Arbeitsplatz
Ein Immobilienkaufmann war mit seinem Arbeitgeber in einen Rechtsstreit wegen einer Kündigung verwickelt. Als ihm vom Arbeitsgericht Recht gegeben wurde, weigerten sich mehrere Mitarbeiter des Unternehmens, weiterhin mit ihm zusammenzuarbeiten. Die Leitung des Unternehmens wies den Mitarbeiter deshalb an, seine Arbeitsleistung zukünftig an einem anderen Ort zu erbringen. Der Beschäftigte kam der Weisung nicht nach und erhielt die Kündigung. Im folgenden Kündigungsschutzprozess argumentierte er mit der Unbilligkeit der Anweisung des Arbeitgebers. Das Gericht folgte seiner Auffassung.
Zusätzlich legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) fest, der Betroffene müsse sich auch nicht vorübergehend an die Vorgabe des Unternehmens halten, bis die Frage der Unbilligkeit geklärt sei. Vielmehr ist der Arbeitnehmer nach Auffassung des Gerichts auch während des laufenden Billigkeits-Verfahrens berechtigt, der Anweisung nicht nachzukommen. Das Risiko einer Unbilligkeits-Entscheidung liegt nach diesem Urteil des BAG nunmehr beim Arbeitgeber.